KI & Feinplanung: Auf der Suche nach den höchsten Gipfeln
Künstliche Intelligenz in der Produktionsplanung
Künstliche Intelligenz (KI) ist eine DER Schlüsseltechnologien auf dem Weg zur Smart Factory! Kontinuierlich hält sie Einzug in den verschiedensten Bereichen der digitalen Fertigungswelt. Eines dieser Anwendungsfelder ist die Fertigungsfeinplanung, die in ihrer Komplexität stark davon profitieren kann!
Es stellt sich zu Beginn allerdings die Frage, wie man KI in der Feinplanung einsetzt und welchen Nutzen ein Unternehmen daraus ziehen kann.
Machen wir uns also auf die Suche nach den höchsten Gipfeln – oder den besten Planungsergebnissen!
Auf der Suche nach dem höchsten Gipfel
Die Alpen erstrecken sich mit einer Gesamtlänge von rund 1.200 km und einer Gesamtfläche von mehr als 200.000 km² über 8 Länder. Macht man sich ohne Landkarte und Kompass – also praktisch blind – auf die Suche nach dem höchsten Gipfel, dem Mont Blanc, so erscheint diese Aufgabe als schier unlösbar. Diese Analogie erscheint auf den ersten Blick weit hergeholt, doch wird sich der Zusammenhang mit der Feinplanung im weiteren Verlauf erschließen.
Die klassische Fertigungsfeinplanung ist von einer hohen Komplexität geprägt. Bereits bei 30 Arbeitsgängen entstehen mehr Anordnungsmöglichkeiten, als es Wassermoleküle auf der Erde gibt. Hinzu kommen unzählige Randbedingungen und weitere Abhängigkeiten von Faktoren wie wechselnden Arbeitsgangdauern, variierenden Rüstzeiten und schwankenden Ressourcenverfügbarkeiten.
Digitale Plantafeln liefern hier solide Entscheidungsrundlagen für Planer in Industriebetrieben. Wozu braucht es dann noch die Unterstützung einer KI, wenn doch bestehende Planungstools gut performen und man ja auch auf das Wissen des Fertigungsplaners setzen kann? Die Antwort darauf ist vielschichtig und lässt sich nicht in einem einzigen Satz formulieren.
Am Anfang steht das Lernen
MES-Softwareanbieter Industrie Informatik hat sich dieser Frage gestellt und in einem Forschungsprojekt nach den „Planungsalgorithmen der nächsten Generation“ gesucht. Bernhard Falkner ist CTO des Softwarehauses und zeichnet hauptverantwortlich für das Forschungsprojekt: „Es war und ist unser Bestreben, bestimmte Entscheidungsstrukturen von Menschen mittels KI nachzubilden, um diese dann in der Fertigungsfeinplanung anzuwenden! Vereinfacht gesagt geht es – wie so oft – um die Extraktion von Wissen aus Daten.“
Die Basis für eine KI-Anwendung ist Wissen, oder besser gesagt, künstlich generiertes Wissen, das aus realen Abläufen und Erfahrungen in der Produktionsplanung stammt! Beim sogenannten maschinellen Lernen werden Planungsaktionen und deren Ergebnisse berechnet und anschließend im ‚Optimizer‘ bewertet. Diese Bewertungen erfolgen anhand komplexer Algorithmen, welche verschiedenste Zielfunktionen als Grundlage nutzen. Feinplaner können dabei auf ein breites Spektrum dieser Zielfunktionen wie Kostenreduktion, Verkürzung der Auftrags-Durchlaufzeit, Optimierung der Rüstdauer und -kosten, Minimierung von Auftragsverzug, etc. zurückgreifen.
„Industriebetriebe verfolgen in der Regel mehr als nur ein Optimierungsziel. Diese müssen mittels gewichteter Zielfunktionen aufeinander abstimmbar und parallel verfolgbar sein. Nur dann kann eine KI-Lösung den komplexen Anforderungen einer Smart Factory gerecht werden“, so Falkner.
Wanderschuhe oder Steigeisen
Mit einer initialen Planungssituation und der definierten Gesamtzielfunktionen als Basis, kann sich der ‚Optimizer‘ nun an die Arbeit machen. Das bedeutet, dass nicht-optimale und kritische Situationen im Prozess automatisch erkannt und analysiert werden. Genau an dieser Stelle werden mit sogenannten Nachbarschaftsoperatoren Verbesserungen durchgeführt und auf deren Basis ein neues Planungsbild berechnet.
Hier steigen wir wieder in unser Bergsteiger-Beispiel ein: Ist es das Ziel, eine Eiswand zu erklimmen, bietet sich eine Reihe von Ausrüstungsgegenständen (Nachbarschaftsoperatoren) für diese Aufgabe an. Je nachdem, ob wir uns für Wanderschuhe, Seil, Eispickel und/oder Steigeisen entscheiden, werden wir unser Ziel erreichen – oder auch nicht. Und auch die Geschwindigkeit des Aufstiegs variiert mit dem gewählten Equipment. Dabei kommt es auf die richtige Ausrüstung zum richtigen Zeitpunkt an: so gefährlich und unzureichend Wanderschuhe am Eis sind, so bewährt ist ihr Einsatz auf der Almwiese.
Zurück in die Fertigungswelt: Verbessert sich nun das Ergebnis mit dem eingesetzten Nachbarschaftsoperator, so wird dieser positiv bewertet und kommt bei künftigen Simulationen mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder zum Einsatz. Das gleiche Prinzip gilt auch in die andere Richtung. Verbessert sich eine Situation durch die Anpassungen nicht, so wird dieser Nachbarschaftsoperator seltener genutzt.
Bernhard Falkner sieht darin die Möglichkeit einer nahezu perfekten Fertigungsfeinplanung: „Je länger man den ‚Optimizer‘ laufen lässt, desto mehr Planungsszenarien durchläuft er und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines optimalen Planungsergebnisses.“
KI in der Feinplanungspraxis
Wie setzt man KI und im speziellen Fall den ‚Optimizer‘ nun in der Praxis ein? Die neuen Technologien sollten keineswegs als Ersatz für Planungspersonal angesehen werden, sondern den Mitarbeitern die Arbeit erleichtern und dabei die Effizienz signifikant erhöhen! Vielmehr initiiert man mit dem ‚Optimizer‘ einen Hintergrundprozess, der parallel zur laufenden Produktion seine Arbeit aufnimmt, Szenario für Szenario anhand neuester wissenschaftlicher Algorithmen durchspielt und mittels Zielfunktionen bewertet. Als User hat man die Möglichkeit, jederzeit den aktuellen Stand der Planung und die Bewertung der Zielfunktion einzusehen und zu entscheiden, ab wann man diese in den Echtbetrieb übernimmt.
Je mehr Zeit man dem ‚Optimizer‘ gibt, desto näher kommt man dem „perfekten“ Planungsergebnis. „Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielschichtig. So kann man beispielsweise auch verschiedene Zielfunktionen in parallel laufenden Simulationen verfolgen und so weitere Vergleiche aufstellen“, ist Bernhard Falkner von den positiven Effekten überzeugt.
Nutzenpotenzial heben oder den höchsten Gipfel finden
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die globale Lösungssuche des ‚Optimizers‘! Er beschränkt sich nicht auf ein lokales Optimum, sondern bezieht Lösungswege mit ein, die ein menschlicher Planer von Hand nicht erfassen könnte. Zurück in den Alpen bedeutet das, dass wir auf unserer Suche nach dem höchsten Gipfel womöglich bereits auf dem 3.798 m hohen Großglockner stehen und glauben, unser Ziel erreicht zu haben. In Wahrheit gibt es allerdings noch immer viele höhergelegene Gipfel. Es besteht also nach wie vor Luft nach oben.